Strom statt Zucker: FHWN erforscht Nachbarschaftshilfe 2.0 Wieselburg, 20. April 2023 – Die Szene ist altbekannt und war über Jahrzehnte ein Paradebeispiel für gute Nachbarschaft: Der Nachbar steht vor der Tür und bittet darum, sich etwas Zucker auszuleihen, weil ihm dieser ausgegangen ist. Künftig könnte Strom an die Stelle des Zuckers treten, das Klingeln beim Nachbarn fällt weg. In erneuerbaren Energiegemeinschaften finden unterschiedliche Akteure zusammen und handeln lokal untereinander mit Strom. Kommt es zum Beispiel bei einem Haushalt mit einer PV-Anlage zu einem Stromüberschuss, dann wird dieser nicht in das überregionale Netz eingespeist, sondern an benachbarte Haushalte verteilt. „Das hat auch zur Folge, dass die Netze entlastet werden. Dadurch nehmen Teilnehmerinnen und Teilnehmer statt einer passiven Rolle eine aktive ein, werden zum „Prosumer“ und können die Energiewende mitgestalten“, erklärt Julia Eisner vom Fachbereich Consumer Science am Campus Wieselburg die Idee. Die gelebte Energiewende Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts NETSE steht somit die Bevölkerung. Ziel der Forschung ist es, die Bedürfnisse und Wahrnehmungen von potentiellen Teilnehmenden zu identifizieren, um Services und Dienstleistungen an die Erwartungen der Bevölkerung anzupassen. Im Rahmen des Projekts wurden dafür Gespräche mit interessierten Personen geführt und auch Informationsveranstaltungen der Energie Zukunft Niederösterreich (EZN) besucht, um deren soziale Dynamiken zu beobachten. Deren Geschäftsführer Roland Matous betont: „Energiegemeinschaften sind nicht weniger als die gelebte Energiewende. Sie ermöglichen die aktive Teilnahme von allen Bürgerinnen und Bürgern am dezentralen, erneuerbaren Energiesystem von morgen.“ Unabhängigkeit, persönlicher Nutzen und Wertschöpfung im Ort Auffällig: Obwohl das innovative Gemeinschaftsprojekt, wie es die erneuerbaren Energiegemeinschaften in Niederösterreich sind, am Beginn des Etablierungsprozesses steht, ist die Einstellung in den Gemeinden dazu durchwegs positiv. Das Interesse in der Bevölkerung ist bereits geweckt. „Die Leute sehen den Vorteil der Gemeinschaft darin, unabhängig von zentralen Netzen zu werden und so auch eine gemeinschaftliche Energieunabhängigkeit zu erreichen. Außerdem gefällt ihnen der Gedanke, dass durch den Beitritt auch die eigenen Stromerzeugungs- und Speicheranlagen effektiver genutzt werden“, so Eisner. Viele sehen bei dem regionalen Zusammenschluss auch die Wertschöpfung im Ort als Benefit – der Strom kommt aus der eigenen Region und wird auch dort verbraucht. „Es braucht Vertrauen und Transparenz“ Als Voraussetzung für eine Gründung von Energiegemeinschaften zeigen sich deutliche Anforderungen an mögliche Ansprechpersonen und Organisationen: Laut Befragten ist der Beitritt mit einem großen Vertrauensvorschuss verbunden, da es noch sehr viele ungewisse Aspekte gibt und bisher wenige Erfahrungsberichte. „Um dieses Vertrauen zu schaffen ist die Gewährleistung der Transparenz unabdingbar – die Preisgestaltung, die Wirtschaftlichkeit der Gemeinschaft und die Rahmenbedingungen müssen transparent kommuniziert werden. Es muss auch klar sein, welche zusätzlichen Kosten und Folgen es bei einem Austritt gibt“, fasst FHWN-Forscher Michael Wölk die wichtigsten Erkenntnisse der Befragungen zusammen. Aus diesen gehe klar hervor, dass bei der Gründung einer Energiegemeinschaft der Mensch und die Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen müssen, um das Vertrauen untereinander aufbauen zu können. „Eine nachhaltige Kostenersparnis für alle kann nur gewährleistet werden, wenn das flexible Lastenmanagement in der Gemeinschaft verantwortungsvoll umgesetzt wird – das heißt, möglichst dann Strom zu verbrauchen, wenn Wind und Sonne diesen produziert haben und ein Überschuss in der Gemeinschaft vorhanden ist. Dazu müssen sich alle Teilnehmenden committen und eben auch darauf vertrauen, dass sich alle anderen ebenfalls an die vereinbarten Regeln halten“, so Wölk abschließend. Zukünftige Institutionen und Organisationen müssen somit die Bevölkerung adressieren und deren Bedürfnisse für die Umsetzung berücksichtigen. Die Kommunikation der lokalen Projekte soll verstärkt werden, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Vor allem durch die Förderungen für PV Anlagen (z.B. vom Land NÖ 2023) steigt das Interesse, diese zu erweitern oder neu anzuschaffen. „Das wäre der richtige Zeitpunkt, die Gesellschaft für die Idee von Energiegemeinschaften zu adressieren.“